Trauerrede von Philipp

Goetz war ein warmherziger Mensch, der im Zentrum eines großen Freundeskreises stand.

Offen, hilfsbereit und für jedermann ansprechbar. Sein Leben war geprägt von Abenteuerlust, rastlosem Tun und Schaffen und seiner bedingungslosen Hilfsbereitschaft.

Angstfrei, der Welt zugewandt, ein praktischer Mensch, der sich immer zu helfen wusste.

Geboren wurde er 1942, mitten im Krieg im heutigen Polen. Sein leiblicher Vater, ein Kapitän der Kriegsmarine, verließ die Mutter Ilse, noch bevor Goetz zur Welt kam. Ein neuer Mann, den sie während einer Zugreise kennenlernte, nahm sich seiner liebevoll an und wurde sein Vater. Es kamen die beiden Brüder – Theo, der Lange und Eberhard, der Kleine, und so wurde aus Goetz – der Große.

Seine Kindheit verbrachte er in Menteroda, ein vom Kalibergbau geprägtes Dorf in Thüringen. Getragen von der Fürsorge der Mutter und dem uneingeschränkten Vertrauen des Vaters entwickelte sich Goetz zu einem selbstbewussten jungen Mann, den es in die Welt hinaus zog.

Mit dem Ziel bei der Handelsflotte anzuheuern, leistete er seinen Pflichtdienst bei der Marine ab und studiert Schiffs-Maschienenbau in Warnemünde. Doch die Existenz des abwesenden leiblichen Vaters in Westdeutschland durchkreuzte seinen Plan, da er mit Westverwandschaft ersten Grades keine Häfen im nicht-sozialistischen Ausland hätte anlaufen dürfen. Beim Trostpreis der Binnerschifferei, hielt es ihn nur ein Jahr lang.

Wie viele in seiner Generation heiratete er früh. Die Ehe mit Bärbel hält einige Jahre. Und so musste der erste Sohn Maik früh Verantwortung übernehmen,
auch für seinen kleinen Bruder Thomas.

Goetz nahm Abendkurse in Bildhauerei an der Kunsthochschule Weissensee, assistierte dem Maler Wolfgang Frankenstein bei großen Projekten und fand so seinen Weg in die Kunst. Direkt neben Frankensteins Atelier in Weissensee richtete Goetz seine Metallwerkstatt ein, und baute um sie herum, das Haus im Bertricher Weg 3. Alle Freunde halfen mit, und so wurde es ein Haus für alle. In 50 Jahren ist wohl kaum ein Tag vergangen, an dem niemand zu Besuch kam. In dieser prägenden Lebensphase kam vieles zusammen: die Hingabe zur handwerklichen Arbeit, das im Ingenieurstudium erlangte Wissen – Materialkentniss, technisches Zeichnen, und sein ausgeprägter Sinn für Ästhetik. Es entstehen außergewöhnlich schöne Gebrauchsgegenstände, Reliefarbeiten und auch einige phantastische Modelle nicht realisierter Projekte.

Kleinteiliges und Filigranes, aber auch Werke im großen Maßstab die im öffentlichen Raum Bestand haben. Als Mitglied im Verband Bildender Künstler, erhielt er bedeutende Aufträge der Stadt Berlin. Zu seinen wichtigsten Werken zählen das Mahnmal für die Opfer der Gestapo am Alexanderplatz, das kürzlich restaurierte Windspiel im Fennpfuhl-Park, sowie der große mechanische Edelstahlbrunnen, der einst an der Jannowitzbrücke die Passanten nassspritzte und später seinen Weg zurück in den Bertricher Weg fand.

Mit seiner großen Liebe Inge baute Goetz eine Familie auf. Die gemeinsamen Söhne Felix und Philipp wuchsen im Geist des gemeinsamen Schaffens und offenen Miteinanders auf. Der Garten in Weißensee wurde zu einer Institution: ein Treffpunkt für Freunde, Nachbarn, Künstlerinnen und Künstler. Ein Ort, an dem man Goetz oft in Lederschürze, Schweißerbrille und kaukasischer Filzmütze bei der Arbeit antreffen konnte. Und wo er neben Windspielen und Brunnen auch allen Nachbarn die kaputten Auspuffe schweißte, ohne je nach einer Gegenleistung zu fragen, was den Bürger Dorl zu einem beliebten Nachbarn machte, wie man sehr treffend in seiner Stasi-Akte nachlesen kann.

Sein Fernweh blieb über die Jahrzehnte erhalten. Mit der Familie bereiste er den gesamten Ostblock. Allen Menschen begegnete er mit Offenheit, Interesse und verbindender Wärme, und knüpfte so Freundschaften in Polen, Georgien und Bulgarien. Die Enge der DDR, das Gängelnde, das Kleinbürgerliche – all das war ihm fremd. Er engagierte sich im Neuen Forum, stellte unter großem Risiko einen geschmuggelten Kopierer unter, und so wurde die Garage im Bertricher Weg 3 eine Druckwerkstatt für Flugblätter der sich formierenden politischen Bewegung. Mit seiner angstfreien und anpackenden Art, geleitet von einem inneren Kompass der auf Freiheit eingenordet war, war er aktiver Teil jener aufregenden Zeit des politischen Umbruchs.


Die Jahre nach der Wende brachten neue Chancen und Freiheiten, aber auch ungeahnte Herausforderungen. Die etablierten Kontakte verloren an Wert, die Aufträge blieben plötzlich aus. Eine Zeit lang arbeitete er im Denkmalschutz, doch die schöpferische Arbeit trat nun in den Hintergrund. Dennoch, er blieb ein aktiver, suchender Geist. Getragen vom Freundeskreis, blieb das Haus in Weißensee ein lebendiger Treffpunkt.

Goetz blieb in Bewegung. Zum Segelschein, kam nun noch ein Tauchschein und ein Schein fürs Paragliden. In dieser Phase kam das Motorrad wieder in sein Leben. Ob über die Alpen, bis zum Kaukasus oder zum Wintertreffen der Hartgesottenen. Als Nachtlager reichte Goetz eine Isomatte und ein Schlafsack, als Dach die Krone eines Baumes. Freiheitsliebend, unerschrocken – einer, der einfach losfuhr. Der darauf vertraute, dass er sich helfen konnte, und der keine Scheu hatte, Fremde um Hilfe zu bitten.

Er konnte aber auch wild sein, bestimmend, einer, der Ansagen machte und die Verantwortung übernahm. Von den georgischen Freunden erhielt er deshalb den Spitznamen „Tyrantschik“. Mit den Jahren wurden seine Ecken und Kanten weicher, sein zärtliches Wesen bekam mehr Raum. Besonders im Umgang mit Kindern zeigte sich seine warme, offene Art. Er begegnete ihnen mit Vertrauen, Interesse und liebevoller Gelassenheit. Ein Großvater wie aus dem Bilderbuch – nicht nur für seine Enkel, sondern für alle Kinder, denen er begegnete. 

Der schwere Motorradunfall kurz vor Weihnachten 2018 ist eine tiefe Zäsur. Wochen zwischen Leben und Tod. Hier zeigte sich seine Urkraft und sein eiserner Lebenswille. Ein Kraftmensch, der sich von ausweglosem Posten ins Leben zurückgekämpfte. Für Familie und Freunde war es eine Zeit der Sorge, aber auch der Nähe. Am Krankenbett, in Gedanken und Grüßen. Alle waren bei ihm, und alle waren verbunden durch ihre Gedanken an ihn.

In Weißensee wuchs ein neuer Kreis. Alte Freunde wurden neue Nachbarn, neue Nachbarn wurden Freunde. Nach dem Unfall wieder atmen, sprechen, schlucken, schreiben und gehen zu lernen hat Goetz viel Kraft gekostet. Aber noch reiste er nach Rom, nach Köln, noch arbeitete er im Garten, bastelte, reparierte. Der Radius wurde kleiner. Statt die Alpen zu queren, ging es nun mit den Nordic Walking Stöcken um den Weissensee.

Die letzten Jahre waren von Rückschlägen geprägt, aber auch von der Wärme der Familie, der Nähe der Freunde und auch von neuer Anerkennung. Kunsthistorikerinnen und -historiker stoßen auf seine Arbeiten aus DDR-Zeiten und treten in Kontakt. Ein Besuch in seiner Werkstatt, ein Katalogbeitrag und das Interesse an seinem Schaffen bringen späte Würdigung. Ein Kreis schließt sich. Die Werke im öffentlichen Raum bleiben bestehen – ein kleines Archiv ist im Entstehen.

Das letzte Jahr war nicht leicht. Pflegebedürftig, aber geborgen. In seinem Zuhause, in vertrauter Umgebung, im Gespräch mit Inge, im Kontakt mit den Söhnen und Enkelkindern. Freunde kommen wie eh und je. Routinen gaben Halt – Frühstück mit Blick auf den geliebten Apfelbaum und Abendbrot in der Badewanne.

Bis zum Schluss ein kräftiger Händedruck, wache Augen, ein warmes Lächeln. Bis zuletzt war er ein Mensch, um den sich viele sorgten – so wie er sich um viele gesorgt hatte.

Goetz hat viel gemacht in seinem Leben.
Er hat so vieles richtig gemacht.
Sicher auch einiges falsch.
Aber er hat sich dem Leben immer gestellt.
Er hat sich sein Leben gemacht.

Wenn früher im Hause Dorl eine Reise anstand, und endlich der alte Wolga bis zum platzen gepackt war, hat Goetz das Wort Reise, als Zeichen des Aufbruchs zweimal hintereinander gesagt. Zwei Worte wie eine Zauberformel.

Einmal für das Gehende, und einmal für das Kommende.

Und nun sage ich dir,
lieber Goetz 

Reise Reise.